19. September 2018 Thema: Wohnen und Stadtentwicklung Von Eric Eigendorf
„Die Menschen müssen weg,die das entschieden haben!!!“ – „Schwachsinn!“ – „Wäre es nicht besser wenn man das ganze Rathaus abreißt?“. All das sind Kommentare, die man in den letzten Tagen in den sozialen Medien im Bezug auf die Zukunft des Riveufers lesen konnte. Die möglichen Baumfällungen wecken viele unterschiedliche Emotionen. Die Fakten geraten stattdessen in den Hintergrund. Mit diesem Blogbeitrag möchte ich versuchen, fernab von Emotionen aufzeigen, worum es eigentlich geht und einen Überblick über den Vorschlag der Stadtverwaltung und die Änderungsvorschläge aus dem Stadtrat ermöglichen.
Ausgangslage: Hochwasserschäden am Riveufer
Langsam aber sicher gerät das Hochwasser 2013 in Vergessenheit. Die Bilder der überfluteten Straßen, der Sandsackmauern und der unzähligen Freiwilligen verschwimmen nach und nach. Viele Schäden sind aber auch nach fünf Jahren noch nicht beseitigt – so auch am Riveufer. Die Promenade zwischen Burg Giebichenstein und Burgstraße war vor fünf Jahren aufgrund ihrer Lage als eine der ersten Straßen von der Überflutung betroffen. Das Wasser beschädigte damals vor allem die Straße und den Gehweg. Die sogenannte wassergebundene Decke wurde durch das Wasser abgetragen und die Gehwegplatten brachen oder wurden angehoben. Außerdem verläuft unter dem Riveufer der Hauptsammler unserer Stadt. Im Hauptsammler wird seit 1914 das Abwasser unserer Stadt über den Tafelwerder zur Kläranlage Halle-Nord geleitet. An der Stahlbetondecke über dem Kanal wurden in den letzten Jahren massive Schäden festgestellt. Diese Schäden sind zwar altersbedingt und nicht durch das Hochwasser hervorgerufen, aber eine Sanierung der Promenade ohne die Schaffung einer neuen Stahlbetondecke für den Hauptsammler könnte nicht gewährleisten, dass die Kanaldecke nicht irgendwann einstürzt. Aufgrund der Schäden an der Straße, dem Gehweg und der Stahlbetondecke des Hauptsammler entschied der Stadtrat, dass das gesamte Riveufer mit den Mitteln aus dem Fluthilfefonds saniert werden soll.
Vorschlag der Stadtverwaltung zur Sanierung des Riveufers
Am 11.09.2018 stellte die Stadtverwaltung erstmals ihren Vorschlag für die Sanierung des Riveufers in einem Ausschuss des Stadtrates vor.
Kernziel der Sanierung ist der Erhalt aller Bäume. Die 146 Linden, die heute den Hauptbestandteil der Allee bilden, stehen dort bereits seit der Schaffung der Promenade im Jahr 1913. Die noch erhaltenen neun Kastanien in der Nähe Kreuzung Riveufer/ Burgstraße sind noch etwa 30 Jahre älter. Um den Zustand der Bäume zu bewerten, hat die Stadtverwaltung zwei Baumgutachten in Auftrag gegeben. Nach beiden Gutachten gibt es drei Hauptgründe dafür, dass die verbleibende Lebenszeit der derzeit bestehenden Bäume noch maximal 15 Jahre beträgt. Zum einen ist ein Großteil der Bäume mit Phytophthora befallen. Dabei handelt es sich um einen Pilz, der die Feinwurzeln der Bäume zerstört. Mit zunehmenden Alter können sich die Bäume von diesem Befall nicht mehr erholen und sterben letztendlich ab. Darüber hinaus leidet nach Feststellung der Gutachter ein Großteil der Bäume an vielen Stellen auch am Stigmina-Triebsterben. Das Triebsterben wird durch Parasiten hervorgerufen und befällt zuerst einzelne Äste, die in der Folge von der Versorgung des Baumes abgeschnitten werden und so absterben. Bei Fortschreiten des Stigmina-Triebsterbens kann nach der Krone und starken Ästen zuletzt auch der gesamte Baum befallen sein. Zuletzt wird die Lebensfähigkeit der Bäume auch durch den Zustand des Bodens stark beeinträchtigt. In den letzten Jahren hat die Bodenverdichtung stark zugenommen. Im Zuge der Gutachtenerstellung sollten auch die Wurzeln untersucht werden. Das Abtragen der Erde war nur bis zu einer Tiefe von circa fünf Zentimetern mit einem Saugbagger möglich, danach war die Dichte der Erde so hoch, dass ein Presslufthammer eingesetzt werden musste. Diese extreme Dichte führt zu Sauerstoffmangel, Wurzelsterben und sorgt dafür, dass einige Bereiche des Bodens durch Wurzeln nicht mehr erschlossen werden können.
Im Rahmen der Sanierung soll zuerst der Hauptsammler eine neue Stahlbetondecke erhalten. Normalerweise würde man dazu Gräben an den Seiten des Hauptsammlers ausheben, senkrechte Schutzplatten einsetzen und auf diesen Schutzplatten eine neue Deckenplatte verankern. Da die Stadtverwaltung den Erhalt der Bäume als oberstes Ziel ausgegeben hat, kann diese Sanierung nicht auf dem sonst üblichen Weg erfolgen.
Stattdessen werden zuerst die Kanaldecke freigelegt und dann die Abdeckplatten in Teilsegmente zerschnitten und entfernt. Zum Abschluss der Sanierung werden dann neue Abdeckplatten aufgelegt und betoniert. Die Verwaltung führt in ihrer Vorlage selbst aus, dass diese Methode mit erheblichen und nicht vermeidbaren Risiken für die Bäume und den Abwasserkanal behaftet ist. Bei der erforderlichen Freilegung der oberen Abdeckung des Kanals werden auch die Wurzeln der Bäume beeinträchtigt. Wie groß die Eingriffe sein werden und ob das zum Absterben der Bäume führen kann, wird erst die Zeit zeigen. Als wahrscheinlich gilt aber laut Verwaltung, dass auch diese schonende Durchführung der Baumaßnahme die Lebenszeit der Bäume weiter reduzieren wird. Zudem wird zwar die Abdeckung des Kanals erneuert, weitere Schutzmaßnahmen an den Seitenwänden können jedoch nicht vorgenommen werden. Die Stadtverwaltung nimmt dies aber nach eigener Aussage in Kauf, da die notwendigen Schutzmaßnahmen aufgrund der zu erwartenden Reststandzeit der Bäume von maximal 15 Jahren mit dem Austausch der heute stehende Bäume erfolgen könnten. Es bleibt also zu hoffen, dass der heute schon in Mitleidenschaft gezogene Hauptsammler für das Abwasser bis dahin keine weiteren Schäden oder sogar Durchbrüche erleidet.
Nach der Sanierung der Decke des Hauptsammlers soll der Promenadenweg nach den denkmalrechtlichen Vorgaben erneut vollständig mit neuen Betonplatten der bisher verwendeten Art hergestellt werden. Darüber hinaus soll die Straße unter Beibehaltung der Straßenbreite von fünf Metern und Erhaltung der Parkplätze wiederhergestellt werden.
Diese von Oberbürgermeister Wiegand favorisierte Variante der Sanierung kommt nicht ohne Baumfällungen aus. Insgesamt müssten 99 Bäume gefällt werden. Vor Ort würden als Ersatz lediglich 36 Bäume neu gepflanzt werden.
Meine Meinung zur Sanierung des Riveufers
Es ist vernünftig und sinnvoll, das Riveufer zu sanieren. Die Sanierung der gesamten Promenade muss aber auch nachhaltig sein. Meiner Meinung nach liegt aber gerade darin die Schwäche der Sanierungspläne der Stadtverwaltung.
Der Versuch, alle Bäume zu erhalten, ist ohne Zweifel aller Ehren wert. Baumfällungen dürfen stets nur das letzte Mittel sein. Sie sind von einer solch herausragenden Bedeutung für das Stadtklima und den Wohlfühlfaktor in Halle, dass ihr Erhalt das oberste Ziel aller Planungen sein muss. Um dieses Ziel zu erreichen ist es richtig, alle Maßnahmen der Sanierung zu schonend wie möglich auszugestalten. Wer nachhaltig arbeiten will, der muss aber auch erkennen, wann ein Aufwand der Sache selbst nicht mehr weiterhilft.
Die Verwaltung nimmt bei der Sanierung viele Einschnitte hin. Die dringend notwendige Erneuerung der Schutzmaßnahmen für den Abwasserkanal unter der Promenade wird nur teilweise vorgenommen und die bereits erkrankten Bäume verbleiben weiterhin in einem steinharten Boden, der ihnen jeglichen Raum zur Ausdehnung nimmt. Trotz dieses Mehraufwandes wird eine Baumaßnahmen nach Vorstellung des Oberbürgermeisters die Fällung von 99 Bäumen erfordern und die Lebenszeit der verbliebenen Bäume weiter verringern. Die Folge wäre, dass die für das nächste Jahr geplanten Sanierungen in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren immer wieder stückweise wiederholt werden müssten, um die dann nach und nach absterbenden Bäume zu ersetzen. Das Riveufer wäre eine permanente Baustelle. Erst bei der Ersetzung der Bäume könnten die Seitenwände des Hauptsammlers geschützt und die Erde rund um die Bäume komplett ausgetauscht werden. Die Folge wäre, dass die Allee ihren Charakter verliert. Vor fast 105 Jahren waren die Stadtmütter und -väter so weitsichtig und haben die noch heute die Promenade säumenden Linden gleichzeitig gepflanzt. Von dem Ergebnis dieser Entscheidung profitiert das Flair der Promenade noch heute. Wären wir gezwungen, in den kommenden Jahren immer wieder einzelne Bäume auszutauschen, würde dieses Flair verloren gehen. Statt gleichhoher Bäume über die Strecke von mehr als einem Kilometer stünden dann überall unterschiedlich hohe Bäume, die mit der Allee, wie wir sie kennen nicht mehr viel gemein haben.
Aufgrund dieser Probleme hat die SPD-Fraktion einen alternativen Vorschlag zur Sanierung des Riveufers gemacht. Dieser Vorschlag war weder einfach noch haben wir uns gerne für ihn entschieden. In Abwägung aller Argumente ist er für uns aber die beste Möglichkeit, um das Riveufer über die zehn oder zwanzig Jahren hinaus nachhaltig und zukunftssicher zu gestalten. Ausgangspunkt für unseren Vorschlag ist die vollständige Sanierung der Abdeckung des Hauptsammlers und die Schaffung der Schutzmaßnahmen für die Außenwand des Kanals. Nur dann ist sichergestellt, dass der Kanal nicht irgendwann so stark beschädigt wird, dass die Promenade absackt oder das Abwasser unkontrolliert austritt. Nach der Fertigstellung der Arbeiten rund um den Hauptsammler kann dann der Austausch des knüppelharten Erdreiches erfolgen. So hätten die neuen Bäume im Vergleich zu heute die besseren Bedingungen, um zu wachsen und sich im Bereich der Wurzeln frei auszubreiten. Als Neupflanzungen würde sich beispielsweise Kaiserlinden mit einem Stammumfang von circa 20 Zentimeter anbieten. So könnte der Alleecharakter schnell wiederhergestellt werden. Außerdem wäre dann mit dem Abschluss der Sanierung der gesamten Promenade ein Zustand erreicht, der in der Folge über die nächsten hundert Jahre einheitlich wachsen könnte. Aus Sicht des Umweltschutzes ist die Baumfällung auf den ersten Blick eine Katastrophe. Betrachtet man die Entscheidung aber aus langfristiger Sicht, ist die Neupflanzung nachhaltiger, weil so direkt mit der Sanierung die idealen Möglichkeiten für neue Bäume geschaffen werden können. Die gesamte Sanierung der Promenade könnte dann auf die optimalen Bedingungen für die Bäume ausgerichtet werden, statt Stückwerk und Provisorien zu fabrizieren.
Wie geht´s jetzt weiter?
Unser Vorschlag kommt nicht von ungefähr. Wir haben uns über viele Wochen mit der Vorlage der Verwaltung, den verschiedenen Gutachten und den Meinungen unterschiedlicher Fachleute auseinandergesetzt. Trotzdem nehmen wir die derzeitige Debatte ernst. Unser Vorschlag ist ein Beitrag zur langfristigen Gestaltung der Zukunft des Riveufers. In den nächsten Wochen werden wir weiter offen für die Diskussion sein, alle Meinungen ernst nehmen und nach einem breiten Konsens suchen. Das Riveufer ist es wert, für das bestmögliche Ergebnis zu streiten.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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