22. April 2020 Thema: Finanzen und Verwaltung Von Eric Eigendorf
Es gibt momentan keinen Lebensbereich, der nicht von der Corona-Krise betroffen ist. Gerade die vergangenen Wochen haben unser Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Wann wir unseren gewohnten Alltag wieder haben werden, ist heute noch nicht absehbar. Im Schatten der Diskussionen um den Schutzmasken, Ausgangssperren oder die Rettung von Arbeitsplätzen ist aber noch eine andere Gefahr entstanden, die bislang kaum beachtet wird. Sie bedroht das Leben in den Kommunen, wie wir es kennen und ist damit auch eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land.
In den Kommunen in unserem Land wird nahezu alles entschieden, was unser tägliches Leben prägt. Es ist nicht möglich, das Haus zu verlassen, ohne die Auswirkungen von Entscheidungen zu erleben, die auf der lokalen Ebene getroffen wurden. Obwohl die Kommunen in unserem Land damit eine große Bedeutung haben, werden sie oft stiefmütterlich behandelt. Seit Jahren klagt nicht nur die Stadt Halle, dass die Mittel, die sie von der Landes- und der Bundesebene erhält, in keinem Verhältnis zu der Fülle von Aufgaben stehen, die hier vor Ort bewältigt werden müssen. Die Folge ist, dass auch der Haushalt der Stadt stets auf Kante genäht ist. So kann fast nie das Geld ausgegeben werden, das eigentlich notwendig ist, um all die Aufgaben richtig zu erfüllen. Im Gegenteil: Die Stadt Halle hat in den vergangenen Jahren einen Schuldenberg angehäuft, den sie nun mühsam abtragen muss.
In „normalen“ Jahren sind diese Probleme für den halleschen Stadtrat und die Verwaltung aber meist mit viel Mühe zu händeln. In langen Diskussionen konnte in den vergangenen Jahren immer ein Haushalt durch den Stadtrat beschlossen werden, der dazu beigetragen hat, dass Halle nicht stagniert, sondern sich weiterentwickelt. All die Sanierungen in Schulen und Kitas, die immer größer werdende Vereinslandschaft, die Umgestaltung zentraler Plätze und vieler Straßen, die vielseitige Kulturszene oder die sinkende Arbeitslosigkeit zeigen das eindrucksvoll. Diese Entwicklungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Haushalte der Stadt immer auf Kante genäht sind. Negative Entwicklungen wie geringere Einnahmen oder höhere Ausgaben sind kaum zu stemmen, treten beide Entwicklungen gleichzeitig auf, ist all das, was notwendig ist, kaum noch zu gewährleisten. Die Folge sind Einsparungen in Bereichen, die eigentlich weder sinnvoll noch vorteilhaft für die Entwicklung der Stadt sind.
Mit der Corona-Krise ist nun genau so eine Situation eingetreten. Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Abweichungen vom ursprünglichen Haushaltsplan der Stadt, die aber durch Kürzungen in bestimmten Bereichen oder das Verschieben von finanziellen Reserven aufgefangen werden können. In der derzeitigen Situation werden aber auch solche ärgerlichen aber verhältnismäßig kleinen Anpassungen nicht reichen. Die Corona-Krise trifft Halle in einem Ausmaß, der so nicht vorstellbar war.
Ein Knackpunkt ist dabei die wirtschaftliche Entwicklung. Da die Kommunen nur unzureichend von der Landes- und Bundesebene unterstützt werden, sind sie stark auf ihre eigenen Einnahmen angewiesen. Eine dieser Einnahmen ist die Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer wird von Unternehmen an die Stadt gezahlt und richtet sich unter anderem nach dem Gewinn, den ein Unternehmen gemacht hat. Durch das Einfrieren des öffentlichen Lebens haben viele Unternehmen in unserer Stadt erhebliche Verluste zu beklagen. Damit wird auch die Höhe der Steuern, die sie an die Stadt zahlen, zurückgehen. Eine andere Einnahme ist der sogenannte gemeindliche Anteil an der Einkommenssteuer. Auch in unserer Stadt bekommen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer derzeit nur Kurzarbeitergeld. Da wir immer noch eine sehr ausgeprägten Niedriglohnsektor haben, heißt das für viele Betroffene, dass sie zusätzlich Grundsicherung in Form von Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Die Einkommenssteuer wird bei ihnen in diesem Jahr wesentlich geringer ausfallen, als das zu Jahresbeginn zu erwarten war. Auch diese Einnahmen werden der Stadt fehlen.
Geradezu dramatisch werden die Folgen der Corona-Krise aber auf der Seite der Ausgaben. Zwar ist das genaue Ausmaß noch nicht zu beziffern, gerade der Bereich der kommunalen Sozialpolitik wird aber derzeit stark belastet. Dabei geht es vor allem um die sogenannten Kosten der Unterkunft. Die Kosten der Unterkunft erhalten Menschen, die beispielsweise Arbeitslosengeld erhalten, zur Deckung ihrer Ausgaben für Miete und Heizkosten. Mit dem gelockerten Zugang zur Grundsicherung wegen der Corona-Krise wird auch in Halle die Zahl der Antragssteller steigen. Das ist völlig berechtigt, bleibt aber auch in unserer Stadt nicht ohne Wirkung. Ursprünglich war geplant, dass die Kosten der Unterkunft in Halle leicht zurückgehen. Diese Prognose ist durch die Corona-Krise nun hinfällig. Bereits jetzt ist aber absehbar, dass die Kosten massiv steigen werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass auch die Kosten für die Suchtberatung, die Hilfen zur Erziehung und andere sozialen Leistungen steigen werden, weil die Quarantäne und die Isolation durch die Ausgangsbeschränkungen viele persönliche Probleme oft noch verstärkt.
Eine genaue Abrechnung der Folgen von Corona wird wohl erst in einigen Wochen möglich sein. Bereits jetzt ist aber absehbar, dass die Pandemie ein Loch von etwa 200 Mio. Euro in den städtischen Geldbeutel reißt. Im Vergleich zur Gesamtgröße des Haushaltes ist das eine riesige Summe. Als Reaktion darauf musste die Stadt nun eine sogenannte Haushaltssperre erlassen werden. Haushaltssperren führen dazu, dass nur noch Ausgaben getätigt werden dürfen, zu denen die Stadt gesetzlich verpflichtet ist oder die dringend notwendig und unabweisbar sind. Die Unabweisbarkeit muss bei jeder Maßnahme gesondert begründet werden. So soll verhindert werden, dass die Stadt sich durch die Konsequenzen der Corona-Krise noch weiter verschuldet.
Die Folgen dieser Haushaltssperre sind aber fatal. Der Pandemie fallen damit voraussichtlich ein Großteil der freiwilligen Leistungen zum Opfer. Freiwillige Leistungen ist der Oberbegriff für Angebote und Projekte, die die Stadt sich gönnt, obwohl sie dazu nicht verpflichtet ist. Mit Luxus haben freiwillige Leistungen aber trotzdem nichts zu tun. Die Förderung von Jugendclubs, die Unterstützung von Sportvereinen, die Angebote für Menschen mit sozialen und finanziellen Problemen, Begegnungs- und Beratungsstätten, die Sportförderung für Sportvereine, die Kulturförderung – all das sind freiwillige Leistungen. Freiwillige Leistungen sind damit nicht mehr und nicht weniger als die Summe der Angebote und Projekte, die das Leben in unserer Stadt lebenswert machen. Viele der Angebote, gerade im Sozialbereich, kümmern sich außerdem um die Schwächsten in unserer Gesellschaft und um die, die in schwierigen Lebenssituationen Hilfe benötigen.
Der freilwillige Bereich des kommunalen Handelns ist damit der Anker für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt. Corona sorgt dafür, dass nun hinter all diesen Angeboten und Projekten ein großes Fragezeichen steht. Die Folgen einer so massiven Ausdünnung für das Leben in unserer Stadt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind kaum auszumalen. Hinzu kommt, dass diese Krise nun auch vielen Menschen, die sich hauptberuflich in dem Bereich engagieren, den Arbeitsplatz kosten kann. Neben den gesundheitlichen und den wirtschaftlichen Folgen tut sich damit aktuell ein weiterer Lebensbereich auf, in dem Corona zu einem Super-GAU führen kann.
Alleine wird die Stadt Halle diese Folgen nicht abwenden können. Um die Mittel an die Vereine, Projekte und Initiativen wieder auszahlen zu können, müsste das durch Corona zu erwartende Minus ausgeglichen werden. Es gibt aber derzeit kein Szenario, in dem ein Loch von mindestens 200 Mio. Euro durch die Stadt selbst geschlossen werden kann. Hilfe muss daher zwingend von anderen politischen Ebenen kommen, um die Kommunen weiter lebenswert zu gestalten und den sozialen Zusammenhalt nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Von verschiedenen Stellen wurde daher bereits ein Rettungsschirm für die Kommunen unseres Landes gefordert. Das macht Sinn. Alleine werden die Kommunen die durch die Corona-Krise entstandenen Kosten nicht stemmen können, gleichzeitig kann aber auch niemand die Verantwortlichen auf lokaler Ebene mit diesen Problemen alleine lassen – die Folgen für unsere Gesellschaft wären sonst verheerend. Ein Rettungsschirm, den der Bund und die Länder nach dem Vorbild der Hilfen für Unternehmen auflegen, würde nicht nur in Halle das Haushaltsloch schließen. Mit einem Nachtragshaushalt könnte dann die Stadt ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. So könnten Vereine, Iniativen und Projekte wieder die Unterstützung bekommen, die nötig ist, die sie verdient haben und die am Ende wir alle ein Interesse haben.
Es kommt nun darauf an, dass sich der Bund und die Länder schnell der Gefahr, die Corona für die Kommunen darstellt, bewusst werden und entschieden handeln. Sonst kommt die Hilfe für die Vereine, Projekte und Initiativen zu spät.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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