16. April 2017 Thema: Finanzen und Verwaltung Von Eric Eigendorf
An keinem Anblick in unserer Stadt spalten sich die Geister so sehr, wie an dem der Scheiben-Hochhäusern im Zentrum von Halle-Neustadt. Einerseits sind sie eine eindrucksvolle Landmarke im Stadtbild, anderseits auch ein einprägsamer Schandfleck. Viele Hallenserinnen und Hallenser senken lieber den Kopf, wenn sie durch die Neustädter Passage laufen. Eine Sanierung, wenigstens einer der vier unsanierten 18-Geschosser ist ein oft ausgesprochener Wunsch. Realistisch war das bisher allerdings nicht.
Vom Sozialrathaus zum Bürgerzentrum
Seit März liegt dem Stadtrat ein Beschluss vor, der aus dem Wunsch Wirklichkeit machen soll. Die Stadtverwaltung schlägt dem Stadtrat vor, die Scheibe A nach einer Sanierung als Verwaltungsstandort zu nutzen. Neu ist diese Idee nicht. Bereits seit vielen Monaten geistert in den Gremien das Schlagwort „Sozialrathaus“ durch die Flure und Räume von Stadthaus und Ratshof – konkret ist es aber nie geworden. Nun will die Verwaltung Nägel mit Köpfen machen. Das neue „Bürgerzentrum“ soll insgesamt 454 Mitarbeitern eine neue Heimat bieten. Obgleich der neue Name „Bürgerzentrum“ etwas anderes vermuten lässt, sollen auch nach den aktuellen Plänen vor allem die Fachbereiche Bildung und Soziales konzentriert werden. Alternativlos ist die Sanierung der Scheibe A dabei keineswegs. Eine von der Stadt in Auftrag gegebene Gesamtanalyse der Verwaltungsstandorte hat mit der Beibehaltung der jetzigen Struktur und einem Neubau in der Schimmelstraße auch zwei weitere Varianten geprüft.
26 Verwaltungsstandorte – und nur Probleme
Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob es wirtschaftlich wäre, wenn alle Verwaltungsstandorte in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben würden. Die jetzige Struktur hat drei wesentliche Nachteile. Von den bisher vorhandenen 26 Standorten sind nicht alle im Eigentum der Stadt. In den stadteigenen Immobilien existiert derzeit ein Investitionsstau in Höhe von über 10 Mio. Euro. Die Situation bei den Konditionen in den angemieteten Objekten ist nicht viel besser. Die Mietpreise befinden sich zum Teil weit über dem marktüblichen Mittelwert. Zudem sind die Standorte zum Teil überdimensioniert. Das Land Sachsen-Anhalt gibt eine unverbindliche Richtlinie für eine angemessene Zahl von Arbeitsfläche pro Mitarbeiter aus. Diese Zahl übersteigt die Stadt derzeit um das Vierfache. Dies hat auch auf die dadurch entstehenden zusätzlicen Betriebskosten erhebliche Auswirkungen. Aus meiner Sicht führen diese drei Punkte zu dem Schluss, dass die jetzige Struktur unbedingt verändert werden muss.
S wie Schimmelstraße
Eine weitere Option stellt ein Verwaltungsneubau in der Schimmelstraße dar. In Form eines riesigen „S“ sollen einen Steinwurf vom Stadtbad entfernt insgesamt 8.400 qm Arbeitsfläche für die Stadtverwaltung geschaffen werden. Die Kosten für den Neubau belaufen sich nach Schätzungen auf etwa 40,0 Mio. Euro. Das Einsparpotential liegt bei 4,7 Mio. Euro im Vergleich zur jetzigen Struktur der Verwaltungsstandorte. Ein Nachteil dieser Variante ist, dass der Bau nicht erweiterbar wäre und eine Tiefgarage nötig werden würde, um den Verlust der des bisherigen Parkplatzes aufzufangen. Außerdem würde man sich mit der Verwaltungsnutzung der Fläche im Herzen der Stadt der Möglichkeit berauben, das Areal anderweitig und sinnvoller zu nutzen. Mich überzeugt ein Verwaltungsneubau in der Schimmelstraße nicht wirklich.
Bürgerzentrum in der Scheibe A
Auf dem Papier kommt die Sanierung der Scheibe A im Vergleich zu den anderen beiden Möglichkeiten deutlich besser weg. Für insgesamt 32,6 Mio. Euro würden 11.500 qm für die Verwaltung entstehen. Neben der Nutzung der 17 Geschosse soll im Erdgeschoss auch ein neuer Empfangsbereich entstehen. Das Einsparpotential würde bei der Sanierung der Scheibe A gar bei 8,0 Mio. Euro liegen. Die Betongitterstruktur der Scheiben ist gleichzeitig ein Vor- und Nachteil. Sie ermöglicht die Einrichtung vieler kleiner Büros. Da das Bürgerzentrum mit den Fachbereichen Bildung und Soziales hauptsächlich Verwaltungseinheiten beheimaten soll, die viele Gespräche mit Bürgern führen, sind Einzelbüros von Vorteil. Gerade bei Gesprächen mit Menschen in schwierigen Lebenslagen ist es angemessen, diese Beratungen nicht im Großraumbüro durchführen zu müssen. Allerdings ist die Betongitterstruktur sehr unflexibel. Muss wider Erwarten an dieser Struktur doch etwas verändert haben, werden sich die Baukosten wahrscheinlich schnell erhöhen. Für Halle-Neustadt wäre eine Sanierung der Scheibe aber nicht nur die Schaffung eines neuen Verwaltungsstandortes. Wer sich für ein Bürgerzentrum in der Scheibe A entscheidet, der findet nicht nur eine mögliche Lösung für das Problem der halleschen Verwaltungsunterbringung, sondern betreibt auch Stadtentwicklung für Halle-Neustadt.
Mehr als nur Wirtschaftlichkeit – Stadtentwicklung ist unbezahlbar
Ob die Schaffung eines Bürgerzentrums in der Scheibe A wirklich die wirtschaftlichste Variante und eine Chance für die Scheiben ist, kann man jetzt noch nicht sagen. Die offenen Punkte bezüglich der Fragen rund um die Wirtschaftlichkeit werden in den nächsten Wochen nach und nach geklärt werden. Für die Entscheidungsfindung selbst darf aber nicht nur erheblich sein, welche Variante die günstigere Möglichkeit zur Unterbringung der Verwaltung ist. Stadtentwicklung lässt sich nur schwer in Zahlen fassen, Impulse für die Entwicklung einzelner Stadtteile sind unbezahlbar, weil sie sich nicht ohne weiteres erzeugen lassen. Mit der Sanierung der Scheibe A bekäme Halle-Neustadt einen solchen Schub. Dieser Schub hat dabei mehrere Aspekte. Zuerst gäbe es endlich wieder einen Grund, den Blick beim Gang durch die Neustädter Passage nach oben zu richten und festzustellen, dass sich eben doch etwas bewegt am Zustand der seit Jahrzehnten verfallenden Ensembles. Für Halle-Neustadt würde das eine Art Aufbruchstimmung bedeuten. Zudem wären 454 Verwaltungsangestellte für die bereits bestehenden Geschäfte im Zentrum von Halle-Neustadt in der Mittagspause und nach Feierabend auch 454 potentielle neue Kunden, die auch irgendwann etwas essen oder Besorgungen machen müssen. Zuletzt könnten diese neuen Kundenströme dazu führen, dass es auch für weitere Händler oder Gastronomen attraktiv wird, sich in der Neustädter Passage anzusiedeln. Die Beseitigung des Leerstandes, die seit Jahren mühsam und kleinteilig vorangetrieben wird, könnte fast nebenbei mit der Einrichtung eines Bürgerzentrums in der Scheibe A einen großen Satz in Richtung Problemlösung machen. Wer diese Aspekte der Stadtentwicklung ausblendet und nur auf die Wirtschaftlichkeit schaut, der verschenkt eine Chance für die Scheiben, die vielleicht nicht wieder kommt.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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