18. Januar 2019 Thema: Kultur und Sport Von Eric Eigendorf
Bereits Ende des vergangenen Jahres wurde die Meldung, dass die Schorre abgerissen werden soll, öffentlich. Der entsprechende Antrag des Eigentümers auf Abriss des Gebäudes liegt der Stadtverwaltung mittlerweile vor. Gegen die Zerstörung des Gebäudes richten sich eine Petition und ein Antrag der SPD-Fraktion im Stadtrat von Halle. Beide Initiativen wollen das Gebäude in seiner jetzigen Form weiterhin erhalten. Warum der Kampf für den Erhalt des Gebäudes wichtig ist und ein Abriss für die Stadt eine schlechte Entscheidung wäre, möchte ich mit diesem Beitrag erklären.
Die Schorre ist nicht nur ein Ort, den viele Hallenserinnen und Hallenser mit ganz privaten Geschichten und Erlebnissen verbinden. Die Schorre ist auch ein Ort, an dem sich ein Teil unserer Stadtgeschichte abgespielt hat. Die Geschichte der Schorre beginnt im Jahr 1864. In diesem Jahr wurde sie als Gastwirtschaft unter dem Namen „Müllers Bellevue“ errichtet. Nach der Umbenennung in „Hofjäger“ war der Saal des Gebäudes im Jahr 1890 Schauplatz eines politischen Ereignisses, das Strahlkraft weit über die halleschen Stadtgrenzen hinaus besaß. Nachdem sie zwölf Jahre lang aufgrund der Sozialistengesetze verboten war, traf sich die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zu ihrem ersten Reichsparteitag in Halle und gab sich den Namen „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Das Gebäude in der Willy-Brandt-Straße 78 ist damit dauerhaft mit der Geschichte der ältesten Partei unseres Landes verknüpft.
Die geschichtliche Bedeutung der Schorre erschöpft sich aber nicht in dem, was manche Befürworter des Abrisses als „sozialdemokratische Folklore“ bezeichnen. Auch am 07. November 1918 ereignete sich in der Schorre Historisches. Vier Tage nach dem Kieler Matrosenaufstand erreichte die Novemberrevolution auch Halle. Im Hofjäger wurden die dort versammelten Offiziere der in Halle stationierten Fliegerersatzstaffel entwaffnet. Damit nahm das Ende des Kaiserreiches und der Beginn der ersten deutschen Demokratie im traditionell rot geprägten Halle in den Räumen der Schorre seinen Anfang.
Nach diversen Umbaumaßnahmen und der Nutzung als Jugendclubhaus fand die Schorre in den frühen 1990ern noch einmal eine völlig neue Nutzung. Wo einst August Bebel sprach, traten nach dem Fall der Berliner Mauer nationale und internationale Bands auf. Einige von ihnen sind bis heute ein fester Teil der neueren Musikgeschichte. Denkwürdig waren vor allem die Auftritte der damals noch unbekannten US-amerikanischen Bands Nirvana und Green Day oder von Rammstein.
Das Argument, dass die Schorre nicht nur für viele Hallenserinnen und Hallenser, sondern auch für die Stadtgeschichte ein wichtiger Erinnerungsort ist, ist aber nicht der einzige Punkt, der für einen Erhalt des Gebäudes spricht.
Auch aus Sicht der Stadtentwicklung wäre der Abriss der Schorre ein fatales Zeichen. Als das Gebäude zur Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, stand es vor den Toren der Stadt allein auf weiter Flur. Lediglich ein weiteres Gebäude, eine Villa in der Nähe des heutigen Rannischen Platzes existierte zu dieser Zeit in der näheren Umgebung. Heute ist die Situation gänzlich anders. In den Jahrzehnten nach dem Bau der Schorre hat sich die Stadt immer weiter in Richtung Süden ausgedehnt. Heute liegt sie am Rand des Denkmalbereiches der südliche Innenstadt und ist an drei von vier Seiten von Wohnbebauung umgeben.
Diese Lage ist Fluch und Segen. Logischerweise kommt es gerade am Rande von Partys in der Schorre nicht selten zur Lärmbelästigungen. Für die Anwohnerinnen und Anwohner ist das ohne Zweifel ärgerlich. Trotzdem ist dieser Umstand aber einer Tatsache geschuldet, die abseits der historischen Bedeutung ein weiteres Problem des Abrisses der Schorre erkennen lässt. Südlich der Hochstraße ist die Schorre das letzte Gebäude in unserer Stadt, in der sich Menschen außerhalb ihrer eigenen vier Wände treffen und miteinander Musik hören können. Sollten die Zeitungsberichte stimmen und dieser Ort für ein Seniorenwohnheim weichen müssen, würde unsere Stadt ärmer werden. Natürlich ist das Schaffen von Wohnungen für Seniorinnen und Senioren in einer alternden Gesellschaft eine wichtige Aufgabe. Das Ziel des neuen Eigentümers, solche Angebote auch in der südlichen Innenstadt zu schaffen, ist absolut nachvollziehbar. Wählt der Investor aber für dieses Vorhaben ausgerechnet die Fläche der Schorre, statt andere ebenso geeignete Flächen ins Auge zu fassen, wird der Stadt eine Nutzung geraubt, die im Stadtteil mittlerweile spätestens seit der Schließung des Capitols einzigartig ist und die nicht mehr wiederherzustellen sein wird.
Einer der wichtigen Punkte, die das Leben in einer Stadt ausmachen, ist dass man in ihr viele Dinge erleben kann. Städte besitzen im Unterschied zu Dörfern Freizeitangebote für eine breite Zahl von Menschen. Dieser Erlebnischarakter ist nicht immer für jeden angenehm – gerade wenn er mit Lärm einhergeht. Er ist es aber, der das Stadtleben ausmacht, und wer in einer Stadt wohnt, nimmt diesen Umstand auch in Kauf. Wenn wir nun aber Orte, die diesen Erlebnischarakter einer Stadt ausmachen, zugunsten von „ruhigeren“ Nutzungen aufgeben, laufen wir Gefahr, dass in unserer Stadt eine „gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“-Mentalität entsteht. Wir berauben uns selbst der Merkmale, die unsere Stadt besonders machen und auf viele Menschen – auch aus dem Umland – anziehend wirken. Ich glaube, dass Kommunalpolitik die Aufgabe hat, solche Entwicklungen zu verhindern. Der geplante Abriss der Schorre ist damit auch eine Frage der Stadtentwicklung. Die Forderungen vieler Hallenserinnen und Hallenser nach einem Erhalt des Gebäudes sind für mich eine Bestätigung dieser Ansicht.
In ihrem Antrag fordert die SPD-Fraktion im Stadtrat von Halle die Stadtverwaltung auf, alle Schritte zu unternehmen, die möglich sind, um den Erhalt zu sichern. Der Planungsausschuss hat diesem Anliegen bereits zugestimmt. Die abschließende Entscheidung ist für die Sitzung des Stadtrates am 30. Januar geplant. Der Ausgang dort ist ungewiss. Umso wichtiger ist es, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt ein klares Signal für den Erhalt der Schorre aussenden. Zu diesem Zweck existiert eine Petition für den Erhalt des Gebäudes. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch Sie diese Petition hier unterzeichnen.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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