26. Juli 2022 Thema: Bildung und Soziales Von Eric Eigendorf
In seinem Gastbeitrag schreibt Philipp Pieloth darüber, wie gerade queere Menschen für Pflegschaften von Kindern gewonnen werden können, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in ihrer Familie leben können. Er ist Mitglied der SPD und seit 2022 beratendes Mitglied der SPD-Fraktion im halleschen Stadtrat. Seine Schwerpunktthemen sind die Bildungs- sowie die Sozialpolitik. Viel Spaß beim Lesen:
Manchmal wird ein Kind in eine Familie geboren, die den Bedürfnissen des Kindes nach Nähe, Anerkennung, Sicherheit, Stabilität oder Verlässlichkeit nicht entsprechen kann. Das Jugendamt unterstützt diese Familie durch Hilfen zur Erziehung. Greifen die begleitenden Maßnahmen in der Familie nicht, können die Kinder in eine Vollzeitpflege kommen. Pflegepersonen können Ehepaare oder eheähnliche Lebensgemeinschaften mit oder ohne eigene Kinder sowie Einzelpersonen werden. Eine Pflegschaft birgt somit für das Kind die Chance, in eine privates, familiäres Setting zu kommen. Für queere Menschen kann es ein Weg sein, durch die Übernahme von Verantwortung für ein Kind ihr Familienleben zu bereichern. Oft ist allerdings queeren Menschen gar nicht so bewusst, dass eine Pflegschaft für sie möglich ist. So steht einer geringen Kenntnis dieser Form der sozialen Elternschaft ein hoher Bedarf an Pflegefamilien gegenüber.
Unter einer sozialen Elternschaft versteht man dabei die Übernahme der praktischen Verantwortung für ein Kind im Prozess des Aufwachsens. Demgegenüber ist die biologische Elternschaft an Eizelle, Samen und gegebenenfalls an den Zeugungs- und Geburtsvorgang geknüpft. Neben der Pflegschaft gehört zur sozialen Elternschaft auch die bekannte, aber immer weniger angewandte Adoption, Stieffamilien und Reproduktionsfamilien. So lautet der Kerngedanke, dass Elternschaft noch keine Familie ausmacht, sondern Familie erst durch Tun entsteht.
In der Pflegschaft geht die rechtliche Elternschaft nicht auf die Pflegeeltern über, sondern verbleibt meist in Teilen bei den leiblichen Eltern. Somit sind die Entscheidungsspielräume von Pflegeeltern begrenzt und Verständigungsprozesse zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie erforderlich. Das stellt eine zusätzliche Herausforderung für das Kind und die weiteren Beteiligten dar. Das Nebeneinander muss koordiniert werden. Seitens des Jugendamtes wird versucht, eine Rückführung in die Herkunftsfamilie zu ermöglichen, die aber zwischen 3 und 6 % liegt.
Um eine Pflegschaft zu übernehmen, muss man geeignet sein. Das Jugendamt überprüft dabei das polizeiliche Führungszeugnis, fordert einen Lebenslauf, ein ärztliches Attest und Einkommensnachweise ab. Auch Hausbesuche und Informations- und Beratungsgespräche sowie eine inhaltliche Vorbereitung erfolgen. So kann sich die Pflegefamilie fachlich unterstützen lassen. Andererseits gibt die Verpflichtung zur Hilfeplanung der Familie eine gewisse Taktung vor.
Pflegefamilien bieten den Kindern allerdings die Chance, neue positive Beziehungserfahrungen zu machen, ein Gefühl von emotionaler Sicherheit zu entwickeln und einen zuverlässigen, unterstützenden und anregenden Lebensort zu erleben. Dabei können psychische Belastungen abgebaut werden und gleichzeitig kann der Wunsch nach einem Kind in der queeren Beziehung erfüllt werden.
Für leibliche Eltern ist die Unterbringung außerhalb der eigenen Familie selten die gewünschte Lösung und ist Ergebnis einer langfristig fehlenden Befriedigung kindlicher Bedürfnisse. Gleichzeitig haben sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Pflegestelle. An dieser Stelle verweisen einige Autoren darauf, dass dies ein neuralgischer Punkt ist, der besonders professionell durch die sozialpädagogische Fachkraft begleitet werden muss, damit homo-, trans*-, inter* und queernegative Vorurteile nicht greifen und der eigentlichen Passung zwischen Kind und Pflegeeltern im Wege stehen.
Queere Eltern sind sensibilisiert für Diskriminierungen, weil sie häufig selbst damit konfrontiert sind. Somit kommt ihnen die Aufgabe zu, ihr Pflegekind vor diskriminierenden Tendenzen zu schützen und geeignete Strategien mit ihnen einzuüben, denn Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sind nicht frei davon. Es zeigt sich tendenziell, dass die Pflegekindern zwar mit Hänseleien und blöden Kommentaren umgehen müssen, sie aber durch ihre Pflegeeltern gut begleitet werden. Das nachhaltige Auffangen unterstützt dabei, dass die Pflegekinder keine negativen psychischen Folgen entwickeln, sondern vielmehr eine Sensibilität und Empathie für ihre Mitmenschen.
Das Recht, die Politik und Gesellschaft sowie familienbezogene Institutionen orientieren sich immer noch sehr stark am Leitbild der zweigeschlechtlichen Kernfamilie, was sowohl die Sichtbarkeit von Regenbogenfamilien, zu denen auch die queere Pflegschaft zählt, einschränkt als auch ihre Legitimation schwächt. So sind sie häufig gezwungen, sich zu erklären, was eine Belastung darstellt. Außerdem gibt es zuvorderst das Denken, dass biologische Eltern prinzipiell bessere Eltern sind, und zwar unabhängig, ob sie die Rolle von Familie ausfüllen oder nicht.
Zweitens wird davon ausgegangen, dass Kinder Eltern beiderlei Geschlechts brauchen. Hier stellt sich auch immer die Frage, ob sich eine rollenkonforme Geschlechtsidentität ausbildet, wie auch immer diese aussehen mag.
Drittens wird behauptet, dass es Kinder überfordert, wenn in Familien mit mehr als zwei Elternteilen vorhanden sind. Dabei verkennt man, dass ein Kind neben diesen zwei Elternteilen immer schon weitere wichtige und emotional hoch relevante Personen gehabt hat.
Einen Punkt hat die Stadt Halle (Saale) bereits umgesetzt. Auf der Informationsseite zur Pflegschaft wird darauf verwiesen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare eine Pflegschaft übernehmen können. Im Sinne der queeren Vielfalt ist das allerdings zu kurz gegriffen und lässt andere queere Menschen wie trans*- und inter*-Personen aus. Wie bereits erwähnt, ist eine Pflegschaft für die Zielgruppe zudem nicht unmittelbar geläufig. Queeren Menschen ist also nicht immer bewusst, dass sie gemeinschaftlich eine Familie gründen können, wenn sie ein Pflegekind aufnehmen – auch ohne Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft. Es braucht also ein offenes Werben an Orten, an denen sich queere Menschen aufhalten. Das kann der CSD in Halle sein, das kann auch in ein bestehendes queeres Angebot integriert werden. So gibt es in Städten wie Hannover durch die Beauftragte für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt der Landeshauptstadt Kinderwunsch-Gruppen, in denen alle Fragen in Einrichtungen der Community besprochen werden können. Zur Stärkung der queeren Familien könnten auch Regenbogenfamilien-Stammtische eine gute Alternative sein, damit Pflegekinder die Erfahrung machen, dass sie nicht allein sind und sich untereinander bestärken.
Mitarbeitende im Jugendamt müssen mit den Lebensrealitäten der queeren Pflegefamilien vertraut sein. So sind sie in der Lage, positive Einstellungen zu entwickeln, die sie gegenüber der Herkunftsfamilien authentisch vertreten können. Das baut eventuelle Hemmschwellen ab und ermöglicht eine erleichterte Pflegeaufnahme. Dabei muss nicht zuallererst im Vordergrund stehen, dass die Pflegeeltern queer sind. Auch das sensible Herstellen eines Kontaktes zwischen den biologischen und werdenden sozialen Eltern hilft, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.
Zudem ist die positive Grundeinstellung der sozialpädagogischen Fachkräfte wichtig, um queere Menschen in einem offenen und selbstbewussten Umgang mit der Familiensituation zu bestärken. Dadurch wird das Pflegekind entlastet, muss es doch keine Geheimnisse bewahren und erlebt zugleich positive Rollenmotive.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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