04. September 2022 Thema: Bildung und Soziales Von Eric Eigendorf
Corona ist seit 2020 das bestimmende Thema in der Gesundheitspolitik. In diesem Jahr hat aber auch ein anderes Thema den Weg auf die politische Bühne gefunden. Spätestens, seitdem Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach erklärt hat, dass die Krankheit eine Massenkrankheit und ein zu lösendes Problem sei, ist sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt – die Endometriose.
In ihrem Gastbeitrag erklärt Frederike Horn, stellvertretende Vorsitzende der Juso-Hochschulgruppe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, was genau Endometriose ist und warum die Krankheit ein gesellschaftliches Problem ist:
Bei der gynäkologischen Krankheit Endometriose treten Entzündungen und Zysten auf, die sich an anderen Organen anlagern. Die Gewebe dieser Endometrioseherde ähneln dem Gewebe der Gebärmutterschleimhaut, und wachsen und bluten mit dem Zyklus. Auch wenn die Endometrioseherde als gutartige Wucherungen gesehen werden, können sie metastasieren und bleibende Schäden an den Organen verursachen.
Endometriose ist die zweithäufigste gynäkologische Krankheit bei Menstruierenden. Jedes Jahr erkranken etwa 40.000 Menstruierende zwischen Pubertät und den Wechseljahren. Es wird vermutet, dass jede zehnte Frau betroffen ist.
Nichtsdestotrotz wird die Krankheit immer noch als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet, da sie in vielen verschiedenen Formen auftreten und oftmals nicht diagnostiziert werden kann. Symptome sind unter anderem starke Unterleibsschmerzen während oder unabhängig von der Periode, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Müdigkeit, Verwachsungen an anderen Organen und oftmals auch ein unerfüllter Kinderwunsch.
In der breiten Öffentlichkeit kennt kaum ein Mensch die chronische Krankheit und ihre Folgen, was dazu führt, dass Menstruierende oftmals einen sehr langen Leidensweg durchgehen und Verständnis für ihre Schmerzen fehlt.
Dabei wird vor allem immer wieder gesagt, dass die auf den ersten Blick als zur Periode gehörenden Schmerzen „das Los der Frau“ sind. Kaum auszuhaltende Schmerzen sind nie das Los eines Menschen und erst recht nicht normal.
An Endometriose Erkrankte werden mit der Diagnose häufig völlig allein gelassen. Es fehlt an Informationen, Netzwerk aber auch Verständnis.
Bis heute ist nicht klar, was genau die Endometriose verursacht, und was während des Zyklus Im Detail passiert. Fehlende Forschung und wenig Wissen über die Krankheit führt dazu, dass Endometriose nicht heilbar ist, und es auch nur wenig Alternativen zur Linderung gibt: Wiederkehrende operative Eingriffe, Schmerztherapien und Hormone. In Deutschland tauchte das Thema Endometriose bisher sehr selten in politischen Debatten auf.
Endometriose ist politischer als man zuerst glaubt, denn die chronische Krankheit zeigt ein Mal mehr auf, dass wir weit entfernt von einer gendergerechten Medizin sind solange sich Forschung und Behandlung oftmals nur an männlichen Standards orientieren.
Die Endometriose-Vereinigung Deutschland stellte deshalb bereits im Herbst letzten Jahres 15 konkrete Forderungen an die neue Bundesregierung. Dabei wird unter anderem die Möglichkeit für mehr Home Office, Teilzeitkrankschreibungen für Betroffene, ein nationaler Aktionsplan Frauengesundheit und wohl die wichtigste Forderung: Mehr Forschung, angestrengt.
Auch wenn Prof. Dr. Karl Lauterbach einen ersten Vorstoß unternommen hat ist es jetzt umso wichtiger, dass den Worten auch Taten folgen, und Endometriose zeitnah und mit der nötigen Intensität auf die politische Agenda gelangt.
Endometriose bedeutet, sich ständig zu fragen:
Ist es normal dass ich so müde bin während alle Leistung zeigen?
Ist es normal, dass ich während meiner Periode vor Schmerzen ohnmächtig werde?
Ist es normal dass ich auf Grund meiner Schmerzen ständig zuhause bleiben muss und Unverständnis die Antwort ist?
Nach dem Absetzen der Pille, haben die Schmerzen vor, während und nach meiner Periode Ausmaße angenommen, die ich vorher nie kannte. Kurz darauf wurde mir eine Zyste am Eierstock diagnostiziert. Es wurde eine Bauchspiegelung durchgeführt, die auch das einzige Mittel darstellt, eine Endometriose mit Sicherheit festzustellen.
Diagnose: Tief infiltrierende Endometriose in Becken, Darm und Zwerchfell. Aus einem halbstündigen Routineeingriff wurde eine vierstündige Operation zur Entfernung der Endometriose die sich in meinem ganzen Körper ausgebreitet hatte und aus einer gesunden 21-jährigen, eine junge Frau mit chronischer Krankheit.
Als ich aufwachte, war ich schockiert, ich hatte noch nie etwas von Endometriose gehört und was ich im Internet dazu finden konnte, war sehr wenig und nicht wirklich vertrauensvoll. Ich war verzweifelt. Der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten: Die behandelnde Ärztin sagte mir in der OP-Auswertung, dass ich vermutlich keine Kinder bekommen könne. Mit all diesen Infos war ich alleine, jede Sensibilität oder Einfühlungsvermögen hat gefehlt und ich wurde ahnungslos aus dem Krankenhaus entlassen.
Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.
Meine Gynäkologin, für die Endometriose wohl genauso ein Fremdwort war wie für mich, verwies mich an ein Endometriosezentrum. Seit diesem Zeitpunkt ist meine Medizin, die ich gegen die chronische Krankheit nehme, die Pille. Ich nehme die Pille an 358 Tagen im Jahr, um die Periode zu unterdrücken, andere Möglichkeiten gibt es nicht. Da die Pille aber zur Verhütung dient und keinesfalls als anerkannte Medizin gilt, muss ich die Kosten und alle damit verbundenen Nebenwirkungen selbst tragen.
Seit der Operation und der durchgängigen Einnahme der Pille geht es mir den Umständen entsprechend gut und ich habe kaum Schmerzen oder Einschränkungen. So geht es aber bei weitem nicht allen Betroffenen. Viele Menstruierende leiden ihr Leben lang unter chronischen Schmerzen und vielen weiteren Symptomen. Ungefähr die Hälfte der Patientinnen haben einen dauerhaften Therapiebedarf. Endometriose hat eine hohe Rezidivrate, so dass ich, und alle anderen Betroffenen in regelmäßigen Abständen zu Untersuchungen müssen, und in der ständigen Ungewissheit leben, ob sich neue Endometrioseherde angesiedelt haben.
Endometriose als gynäkologische Krankheit muss enttabuisiert werden, was nur durch eine breit aufgestellte Aufklärung möglich ist. Denn je weniger Menstruation ein Tabu ist, und je früher junge Menschen über Endometriose Bescheid wissen, umso größer ist die Chance, dass Betroffene frühzeitig eine Diagnose erhalten und eine adäquate Behandlung erfahren.
Endometriose ist kein Frauenproblem, sondern ein gesellschaftliches Problem, welches es dringend zu bekämpfen gilt.
Gemeinsam mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Konstantin Pott mache ich seit Februar 2022 den Podcast
„Perspektive: Politik“. Die aktuelle sowie die bisherigen Folgen gibt es hier:
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